Eigenes zu meinen Bildern

    


Wir leben heute in einer fantastischen Bilderwelt mit beinahe grenzenlosen Möglichkeiten im Visuellen und wir stehen erst am Beginn der Entwicklung des Augenzeitalters. Einige ernstzunehmende Nachdenker nennen diese Phänomene auch Bilderflut und sehen die Gefahr, dass die Schere zwischen diesem technologischen Fortschritt und der inneren menschlichen Entwicklung sich immer weiter öffnet.

Für Künstler stellt dieses Zivilisationsphänomen eine ganz besondere Herausforderung dar; denn sie suchen ständig Lücken, um neue Bildideen zu erfinden. Bei aller Mühe und Kreativität kommt dabei aber dem Inhalt die entscheidende Bedeutung zu: denn weiß du, was du sagen will, so findest du auch die Technik, deiner Idee die Form zu geben.

Die Oberflächenrealität nimmt in meinen Bildern nur den zweiten Rang ein, bedeutsamer sind die Wirkungszusammenhänge hinter den Fassaden. Die Landschaften, selbst die in der Natur gemalten, sind nie bloßes Abbild des Gesehenen, sondern immer neu geschaffene Wirklichkeiten von Formen und Farben, die es so nicht gegeben hat und auch nicht mehr geben wird. Das flüchtige Geschehen in den Wolkenformationen z.B. ist für einen Augenblick in dem Aquarell unwiederholbar kristallisiert. Einige dieser Bilder haben deshalb den Titel „Himmelschaft“. Andere Bilder sind auf ein Minimum reduziert und laden den Betrachter ein, mit Fantasie Einzelheiten hinzuzufügen und die eigene innere Bildwelt zu entdecken. Manche möchten beim Betrachten auch nur die Kraft der Stille in sich erfahren. Die wichtigsten Ereignisse und Erfahrungen vollziehen sich häufig hinter der Fassade der für uns sichtbaren Realität. In diesen bisher nur unvollkommen erforschten Welten arbeitet, wirkt, spielt es in kaum vorstellbarer emotionaler und intellektueller Lebendigkeit. So ist es z.B. bei dem Spiel „Mensch ärgere Dich nicht“ von jedem schon erfahren worden, wie sich urplötzlich die Spielsteine und auch der Würfel verselbständigten und durch die Gegend fliegen. Dann können die Spielsteine den Charakter einer geliebten oder gehassten Person annehmen. Bei diesem Akt der Personifizierung von Materie sollen auch schon Tränen geflossen sein. In dem Gewirr von Wirkungsfäden erhält die tote Materie der Steine beim Spielen facettenreiches Leben; es entsteht eine völlig neue Realität, die wir dem Spiel zunächst nicht angesehen haben. Somit zeigt sich zumindest eine Funktion von Kunst: verborgene Wirklichkeiten sichtbar machen!


1997


 

   

 

Meine Einführung


Wenn Sie sich einmal um Ihre eigene Achse drehen, so haben Sie mit einem Blick über 40 Jahre Spielerei gesehen. Die beiden ältesten Bilder entstanden 1960, die letzte Arbeit vor zwei Wochen. Dabei handelt es sich um das Objekt „Spielteppich“. Das entstand so. Das Kaufhaus „real“ bot die „Mensch ärgere Dich nicht“ Teppiche an und bei „wiglo“ gab es lauter Kleinkram. Das passte ganz ausgezeichnet in mein Konzept: Neues, normalerweise Unsichtbares auf künstlerische Art sichtbar zu machen.

 

Titel

Homo ludens = der spielende Mensch war der Titel meiner Ausstellung in Braunschweig im Botanischen Garten. Auch die heutige Ausstellung – zu der ich Sie alle ganz herzlich begrüße – heißt so, und ich denke darüber nach, ob ich nicht alle meine zukünftigen Ausstellungen so nennen soll. Ich wollte vor Ihnen nun keineswegs mit meinen spärlichen Lateinkenntnisse prahlen, sondern greife auf Johan Huizinga (1872 – 1945), einen holländischen Kulturphilosophen, zurück, der 1938 seine Abhandlung „homo ludens“ veröffentlichte. Er betrachtet unsere menschlichen Aktivitäten unter dem Aspekt des Spielens. Als Student habe ich sein Büchlein gelesen. Nun lässt sich über alles trefflich philosophieren, entscheidend aber ist mir die Tat: im alltäglichen Leben und in der Kunst. Hier und jetzt geht es um meine Kunst. Da gibt es den spielerischen Umgang

  1. mit der Farbe, z. B. in den Aquarellen, wo das Thema Landschaft oft nur ein Vorwand ist für die Farbgestaltung,
  2. mit der Form, z. B. bei den Würfeln, die nicht den Gesetzen der Perspektive gehorchen sollen,
  3. mit dem Inhalt, z. B. bei den Linolschnitten und dem „Mensch ärgere Dich nicht“ Spiel, wo Unsichtbares, Hintergründiges in Farbe und Form gekleidet wird.

 

Über das Spielen

Wir alle haben Spielerfahrung. Ganz intensiv haben wir als Kinder gespielt. Damals erschien das Spielen zweckfrei – war es aber in Wirklichkeit nicht. Spielend sind wir vertraut gemacht worden mit dem Regelwerk unserer Zivilisation und Kultur.

Wir haben beim Spiel gelernt (oder sollten gelernt haben) fair zu gewinnen, mit Anstand zu verlieren, im Team Verantwortung zu übernehmen, Verantwortungsbereiche der Mitspieler zu akzeptieren, Grenzen einzuhalten und auch gelegentlich zu übertreten, Mitspieler in deren Stärken und auch Schwächen wertzuschätzen.

Und als Erwachsene? Jedes Alter und jede Zeit kennen ihr Spiel. Heute spielen wir Skat, Fußball, Skrabbel, lösen Kreuzworträtsel, erledigen Moorhühner... Wir spielen mit Freunden, in der Familie, mit den Kindern. Wir spielen um Nichts, nur um die Ehre, laufen für Deutschland, suchen Bestätigung – auch für uns selbst. Wir wollen gewinnen und genießen das Gefühl der Überlegenheit, empfinden Schadenfreude bei der Niederlage des Gegenüber. Gelegentlich spielen wir ganz selbstlos, um dem anderen mit Hilfe des Spielens über Lebensklippen hinwegzuhieven. Auch das bereitet Freude und macht Sinn.

Manche spielen um Geld, Zocken, handeln mit Aktien, andere mit Immobilien und Autos, am Wochenende zieht es so manchen zum Flohmarkt und vieles mehr. Köche spielen mit den Gewürzen, Frauen mit der Mode, einige spielen mit dem Leben, andere mit ihrer Gesundheit. Wir spielen mit Sand und Klötzen, mit den Blumen im Garten, mit den Tieren im Haus und wir spielen auch mit Menschen. Männer spielen mit Frauen und Frauen mit den Männern, Eltern spielen mit ihren Kindern, Kinder spielen Vater und Mutter aus, Lehrer spielen mit ihren Schülern und Schüler mit ihren Lehrern, aber alle spielen insgeheim und in Wahrheit mit ihren eigenen und den Emotionen der anderen. Das ist meist sehr schön, kann aber auch furchtbar weh tun und gemein wirken. Forscher spielen mit ihren intellektuellen Möglichkeiten im Wettstreit um Erkenntnis, Musiker spielen mit ihren Instrumenten, Künstler mit ihren Ideen, Farben und Formen. Die Mächtigen spielen mit ihrer Macht, ihren Programmen, Versprechungen, Hoffnungen und mit dem Volk und den kleinen Leuten, einige mit dem Feuer und auch mit dem Frieden. Anschließend spielen dann Generäle Krieg (als Kinder nannten wir das Räuber und Gendarm) und bringen Material und Soldaten in Stellung. Diese verlieren ihr Leben, die Oberen ihr Gesicht.

Die Gemeinde feiert den Gottesdienst, ein Ritual mit genau definierten, verteilten Rollen, in dem Glaubensbilder aus Jahrhunderten Form gefunden haben. Für den gläubigen Teilnehmer der Spiegel höchster Verehrung und Kultur. Theologen überspielen mit vielen Bildern vom Jenseits ihre und auch unsere Unwissenheit und nähren wortgewandt die Fantasien von Glück und Verdammnis.

Auf der einen Seite bestimmen immer die Form oder auch das Regelwerk das Spiel, andererseits aber geht es immer auch um intellektuelle, emotionale und innere Inhalte. Wie pflegt mein Freund zu sagen: „ Es geht immer um etwas anderes.“

 

Positiv - Negativ

Dinge und Inhalte leichtsinnig zu verspielen, bewerten wir negativ. Dem Spieler traut man nicht. Spiel aber als Zeitvertreib und zur inneren Entspannung z. B. beim Würfeln mit Gleichgesinnten, beim Tanzen auf der Dorfkirmes bis hin zur vollendeten Form und zum Ritual in der Therapie, im Theater, bei der Olympiade... sehen wir positiv.

 

Können

Spielen setzt immer Können voraus. Nur wer die Dinge beherrscht – Herr ist oder auch Dame – kann spielend mir ihnen umgehen. Nehmen Sie den Fußballer Pele aus Brasilien als Beispiel, der konnte ganz einfach mit dem Fußball umgehen, d.h. der Ball tat, was Pele wollte und deshalb war er ein guter Spieler. Nicht weil Pele wollte, sondern weil er konnte. Der Arzt/Chirurg, der sein Metier beherrscht, kann seine Fähigkeiten spielend/spielerisch einsetzen. Wer mit seinen Kindern spielt, braucht nicht zu prügeln. Wer mit seinen Mitarbeitern und mit der Sache spielerisch, d.h. gekonnt umgeht, ist Chef.

 

Mensch ärgere Dich nicht

Wer nicht Herr ist oder Dame, nicht spielen kann, der ärgert sich, besonders beim „Mensch ärgere Dich nicht“. Wer seinen Emotionen unterworfen ist, ärgert sich und verliert selbst als Gewinner. Ich habe mich mit dem „Mensch ärgere Dich nicht“ Spiel etwas intensiver beschäftigt und versucht darzustellen, was unter/hinter dem Spielbrett so alles passiert oder passieren kann. Dieses Spiel dient mir als Mittel, die angedeuteten inhaltlichen Aspekte in Form zu kleiden. Ich will in meinen Arbeiten mit ihnen zusammen hinter die Kulisse und unter das Spielbrett blicken. Diesem Einblick habe ich Gestalt gegeben. So betrachtet, spiegeln meine Arbeiten Wirklichkeit, sie sind also in der Tat realistisch.

 

Wolfsburg  2004

Subudhaus